Abfärbende Reflexionen

Hubertus A.W.J. Lampenscherf

Mit Plastiken und Graphiken stellt Bernhard Kucken unter dem schillernden Titel „abgefärbt“ eine Werkgruppe vor, die – weit weg von der hermetisch abgeschlossenen Aura manch zeitgenössischer Kunst – den Autor gleichsam zu einem „Erzähler“ werden lässt.  Mit der Thematisierung von Kunstwerken und ihrer Rezeption bezieht Kucken als Künstler Position, indem er eigene Sichtweisen und Kommentare bildnerisch und plastisch umsetzt. Insofern werden Kuckens Arbeiten vor allem mit seiner Werkgruppe „abgefärbt“ und den darin sich spiegelnden kunstgeschichtlichen Anspielungen „literarisch“.  Er „erzählt“ mit seinen bildsprachlichen Kommentierungen bekannter Werke von ihrem Dasein, er entwirft mit seinen bildnerischen Reflexionen Deutungsmöglichkeiten von Werken bekannter Künstler wie Delacroix, Tiepolo, L.da Vinci, Michelangelo, Dürer, Velasquez. Picasso, Beuys, Immendorf, Gerhard Richter u.a. Und so verlangt dieses erzählerische  Gestalten nach Deutung, nach interpretierender Einfühlung.

Kuckens „bildsprachliche“ Kommentierungen nehmen bekannte Werke der oben erwähnten Künstler als Ausgangspunkt; sie sind bisweilen nur als eine Art „Assoziationszitat“ angedeutet, um die „Vorbilder“ zu verändern, zu variieren, zu erweitern, zu kontern. Daher sind es keine Kopien im herkömmlichen Sinne, sondern bisweilen recht eigenwillige Kreationen, die ausreichen, den gemeinten Künstler wiedererkennen zu lassen. Ebenso sind Kuckens Arbeiten nicht als Hommagen misszuverstehen, sondern als kritische Kommentare, als ein ironisches Augenzwinkern, mit dem er letzlich auch sein eigenes Selbstverständnis als Künstler thematisiert. Seine Bilder setzen einen „belesenen“ Betrachter voraus, einen Betrachter, der einen gewissen „Bilderschatz“ präsent hat, der den „Das kenn‘ ich doch irgendwoher!“-Effekt auslöst, und den Kucken damit zu einem verständigen Komplizen und Mitwisser mit ins Boot holen kann. Kuckens Werke gewinnen mit ihrer Zitierweise einerseits der Kunst neue Ansichten ab, andererseits verdeutlichen sie aber auch unsere und des Künstlers Eingebundenheit im Fluss einer immerwährenden Tradition künstlerischer Weltdeutung.

Werfen wir daher einen Blick auf einige Arbeiten: Das Delacroix Bild »Die Freiheit führt das Volk«  wird verdoppelt als Spiegelung: mit dem Effekt, dass sich die „Freiheit“ selber entgegenkommt, sich mit sich selbst konfrontiert. Hetzt die „Freiheit“ nun die Leute gegeneinander auf? Das wirkt auf den ersten Blick spöttisch und witzig, zeigt aber auch, dass es formalästhetisch in der Druckgraphik von Bemhard Kucken funktioniert, und ist dann noch der Anlass für uns, über die damit verbundene Bedeutungsänderung des Ursprungwerkes nachzudenken: Jede Revolution hat wohl auch ihre Umkehrung?!  

Oder betrachten wir den Beuys-Kopf in der Registrierkasse: Er wirkt dort wie eine pfiffige Kommentierung der berühmten Beuys-Gleichung »Kunst = Kapital«, und natürlich ist Bernhard Kucken auch involviert: schließlich verkauft er ja seine kleine Portraitplastik.

Dann sehen wir unverkennbar Immendorf im Rollstuhl – offensichtlich im Disput mit seinem Affen;

die Kleinplastik »Albrecht«,  als Selbstportrait Kuckens nach einem gezeichneten Akt von Dürer;

»Anatomie der Schönheit«, ein klassizistischer Frauenkopf wird aufgeschnitten und entpuppt sich als anatomisches Lehrmodell.

Oder – ein weiteres Selbstportrait des Künstlers in der Installation »Gerhard«, sein Kopf montiert auf ein Fotostativ, womit er mit leichter Ironie die Ansicht von der vermeintlichen „Objektivität der Fotografie“ in Frage stellt.

All dies sind Arbeiten, die zeigen, dass Kucken einen persönlichen Querschnitt durch die Kunstgeschichte präsentiert; nicht zuletzt auch bei der Auswahl der Arbeiten zum Frauenbildnis in der Kunst, die er scheinbar wahllos in und auf einem alten Schreibtisch präsentiert.

Der Künstler benutzt das weite Feld der Kunst, indem er es ungehemmt ausbeutet, verändert und seine Version der Dinge erzählt. Dadurch wird deutlich, dass immer wieder Neues aus der Auseinandersetzung mit dem Vergangenen entsteht, dass Kunst kein abgeschlossener Prozess, keine Mathematikaufgabe mit einer fertigen Lösung ist. Denn als Folge einer künstlerischen Arbeit entstehen neue Arbeiten: Reaktionen, Reflexe innerhalb eines permanenten Dialogs. Der Umgang mit den von Kucken ausgewählten Werken, die wir mit mehr oder weniger „Andacht“ aus Kunstunterricht, Museen oder bibliophilen Kunstbänden kennen, erweitert deren Wirkungsgeschichte. Dazu gehören folgerichtig auch die Kisten des Künstlers: Kunst ist heutzutage immer auf Reisen, von einem Ausstellungsevent zum nächsten – oder halt ins Depot…,  je nach dem, was gerade bezahlbar ist, in die Zeit passt oder wiederentdeckt werden will; was ist da schon verlässlich?  Der oft bemühte Ewigkeitsanspruch von Kunst (ars longa – vita brevis) sollte wohl anders aussehen?!