Der Körper und sein Menschliches

Odilo Tamar

Der Körper des Menschen ist nicht zu haben, ohne die Fragen nach dem Wesen, den Gefühlen oder der Existenz.

Da sind die Körperglieder und ihre Bewegungen, da ist etwas Mann und etwas Frau. All das scheint schon immer bestimmt und bleibt dennoch Rätsel und Geheimnis. Sich ernsthaft mit figurativer Plastik auseinanderzusetzen bedeutet, sich für den Mitmenschen zu interessieren. Es verlangt genau hinzusehen und das Verletzliche, das Erstaunliche, das Wunderbare differenziert wahrzunehmen.
Es gibt zweifelsohne eine Menge zu wissen über den Körper, seinen Aufbau oder seine Proportionen und noch mehr über seine Widersprüche und Übertreibungen. Jedem wird rasch klar, dass dieses Thema unerschöpflich ist, es sich seit Jahrtausenden fortsetzt und an kein Ende kommen kann, so lange noch irgendein Mensch ist. Das Menschliche, das durch den Körper ausgedrückt wird, ist durch reine Abbildung so wenig zu erfassen, wie durch Rituale oder Beschreibungen. Zu weitläufig sind die Möglichkeiten der Existenz. Und doch bleibt wahr, dass die humane Kreatur zu allererst verbunden ist mit dem Leiblichen.

Der Einzelne und die Vielen, das Individuum und die Gesellschaft. Wie nur soll man sich denn den gemeinen, den allgemeinen Menschen vorstellen?
Bei Bernhard Kucken sind die Körper nackt, doch mehr als die Blöße, ist hier stets das Pure die unbedarfte Außengrenze des Körpers gemeint. Natürlich, immer sendet der unbekleidete Körper auch noch anderes. Das ist unvermeidbar, gehört es doch unabänderlich und zutiefst zum Menschen. Dafür ließen sich bestimmt klare Bilder der Zweisamkeit finden, doch genau das geschieht nicht. Es geschieht nicht, weil im Zentrum dieser Arbeiten eine ganz andere Vorstellung vom Menschen steht.
Wie bildet man Ströme, wie zeigt man die Verwirbelungen der Vielen? Das scheint hier die wichtigere Zielsetzung.

Es soll das Menschengeschlecht selbst und nicht seine Neigung zur privaten Lust gezeigt werden. Die Figuren sind gleichzeitig befreit von Alter und Schicksal, jedoch ganz oft gebunden an den Anderen. Die Reihung oder Stapelung der Körper vermittelt sowohl das gemeinschaftliche, wie das Gleiche im Anderen.

Das Wir hat kein Geschlecht. Wir meint jene Erfahrung des Menschen, wonach ihn gemeinsames mehr verbindet, als unterschiedliches trennt.Um das Verknüpfen, das Verwobensein, um die Geborgenheit wie Abhängigkeit einer Figur mit einer nächsten, geht es bei vielen dieser Skulpturen aus Holz oder Bronze. Umgekehrt wiederum lässt sich feststellen, die für den Moment von den Bewegungen des Alltags befreite Figur, ob stehend oder liegend, ist der namenlos Unbekannte. Herausgelöst aus dem Strom des Werdens, der Geschichte und den Kräften der Masse, ist der Einzelne unbedingt zurückgeworfen auf alle menschlichen Fragen. Es ist gewiss nicht egal, ob eine Figur aus Ton oder Gips modelliert oder aus Holz geschnitzt wurde. Die Hände des Künstlers die sich der Figur, dem Körper anzunähern erhoffen, suchen wahrscheinlich das Leben selbst. Die Augen freilich wissen immer, dass der göttliche Hauch nie eingegeben werden kann.

Warum nur wissen die Augen das? Weil Augen in Augen und damit gleichsam, in das flüchtig flackernde der Existenz geblickt haben.